Meine ersten Erfahrungen mit Rollenspiel machte ich als 16-jährige mit einem wundervollen Spielleiter aus der Gegend um Bremen. Einmal im Monat fuhr ich mit dem Zug dorthin und wir spielten das ganze Wochenende Advanced Dungeons & Dragons. Die Spieler- und Spielleitungsboxen der 2. Edition habe ich selbst nach dem 7. Umzug noch im Regal. Gute Erinnerungen.
Obwohl ich seither über mehr als zwanzig Jahre hinweg fast immer Teil von mindestens einer Rollenpsielrunde war, kam ich selten in die Verlegenheit selbst zu meistern. Seit dem zweiten Lockdown jedoch haben wir eine regelmäßige, kleine Runde, bestehend aus meinen Jungs und einem Freund meines Sohnes. Um die Last des Meisterns gleichmäßig zu verteilen, leite auch ich eine kleine Kampagne. Dabei sind mir drei Dinge aufgefallen, die jeder Spielleitung das Leben ein bisschen erleichtern dürften.
Tipp 1: Sandboxing oder Railroading
Kein Plan überlebt der Kontakt mit den Spieler:innen.
Vollkommen gleichgültig, wie viel oder wie wenig man für einen Spieleabend vorbereitet hat – es kommt immer anders als man denkt. Die Spieler:innen tun selten, was man von ihnen erwartet, besonders nicht dann, wenn man darauf zählt. Deshalb musst du als Spielleitung eine Entscheidung treffen: willst du für dein Abenteuer ein Sandbox-Spiel wie Minecraft oder Railroading, wie im klassischen Point-and-Click-Adventure. Für den Anfang bietet sich natürlich an, die Spieler:innen mithilfe von Nichtspielercharakteren (NSCs) oder schlicht den Ereignissen der Handlung bequem entlang deines Plots zu führen und sie nur innehalten zu lassen, um Monster zu töten, Schätze zu klauen oder Priester:innen zu verführen. Dafür solltest du einen straffen, koheränten Plot geplant haben, der einfach unterhaltsam ist, auch wenn wenig Handlungsspielraum bleibt.
Die zweite Möglichkeit ist, den Spieler:innen eine Welt zu präsentieren, in der sie sich frei bewegen und die sie erkunden können. Das erfordert mehr Planung im Vorfeld, wenn du eine Auswahl an Orten entwerfen und mit NSCs bestücken musst, Dungeon-Karten zeichnest (oder aus dem Internet klaust, die Bildersuche ist deine Freundin) und dir Gesellschaftsstrukturen, Religionen und Adelshäuser ausdenkst (oder das jeweilige Äquivalent dazu in deiner Welt). Ist deine Sandbox aber erst einmal fertig, können die Spieler:innen zahllose, unterhaltsame Abende dort verbringen, die du immer wieder mit fertigen Abenteuern ergänzen kannst. Davon hält das Internet einige hervorragende bereit, zum Beispiel hier: https://www.thedmlair.com/
Für den Einstieg ist es nach meiner Erfahrung besser, sich für eine der beiden Varianten zu entscheiden, das spart eine Menge Kopfzerbrechen. Außerdem solltest du gegenüber deinen Spieler:innen klar kommunizieren, welche Varinate du gewählt hast, damit sie wissen, was sie erwartet. Und denk immer daran: Wer nicht zufrieden ist, darf gerne an deiner Stelle meistern. Die meisten Diskussionen lassen sich so zielsicher beenden.
Tipp 2: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte
Für Rollenspiele gilt noch viel mehr als für Romane, dass nicht alle dieselben Bilder im Kopf haben, wenn du etwas beschreibst. Für wichtige Situationen, wie Raumbeschreibungen, Rätsel, besondere Charaktere oder die allseits beliebten Encounter, die Begnungen mit Monstern, feindlichen Gruppen und anderen Gefahren, solltest du eine Visualisierungsmöglichkeit zur Hand haben.
Hierfür eignen sich kleine Whiteboards sehr gut, ein Tablet, Ausdrucke oder ganz klassisch Karopapier. Wer aufgrund der geltenden Kontaktbeschränkungen oder aus anderen Gründen über das Internet spielt, kann hier natürlich ganz praktisch seinen Bildschirm teilen oder auf Tools für gemeinsames Spiel wie Roll20 zurückgreifen.
Wer einen 3D-Drucker besitzt, findet im Netz zahlreiche Vorlagen für Figuren, die ihr auf euren ausgedruckten oder selbstgezeichneten Battlemaps zum Positionieren von Charakteren und Gegnern nutzen könnt. Wer keinen 3D-Drucker hat – so wie wir – greift auf ein 30×20 Whiteboard und viele bunte Magnete zurück. Wer auch das nicht hat, nutzt einen Collegeblock und die Pöppel aus dem Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel, das seit zwanzig Jahren in einer Kiste auf dem Dachboden ein trauriges Dasein fristet und so endlich wieder zu neuem Ruhm kommt.
Wichtig ist, in Situationen, in den es leicht verwirrend werden kann oder bestimmte Details wichtig sind, sich nicht auf die Vorstellungskraft oder die Wirksamkeit der eigenen Worte zu verlassen, sondern Hilfsmittel zu nutzen.
Tipp 3: Öfter und kürzer schlägt selten und lange jedes Mal
Die Leitung eines Rollenspiels kann im ersten Moment wie eine unschaffbare Monumentalaufgabe wirken. Je länger ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, desto klarer wurde, dass es wirklich eine anspruchsvolle und umfangreiche Aufgabe ist. Auch hier gilt wie in vielen anderen Situationen im Leben: kleine Schritte führen zum Ziel. Überlege dir eine oder zwei Begegnungen, die du deine Spieler elreben lassen willst, gib ihnen Auftrag, zeichne eine Dungeon-Karte und dann spielt einfach für 1–3 Stunden. Das ist natürlich einfacher, so lange die Mitspielenden Schüler, Studenten oder in Elternzeit sind und nicht einen Wust an Terminen koordinieren müssen. Noch einfacher ist es, wenn alle Beteiligten dem Rollenspiel eine gewisse Priorität einräumen und sich jede Woche oder jeden Monat die Zeit einfach nehmen.
In jedem Fall ist es meiner Erfahrung nach eine gute Idee, kurze, regelmäßige Treffen zu planen, statt epischer Zwölf-Stunden-Marathons. So hast du immer wieder Pausen zwischen der Leitungsaufgabe, die du nutzen kannst, um das Erlebte Revue passieren zu lassen. Du kannst dann notieren, was gut funktioniert hat und was nicht, was den Spieler:innen Spaß gemacht, was sie verwirrt und was sie gelangweilt hat, und deine künftigen Abenteuer entsprechend anpassen. Menschen lernen nur aus Fehlern. Deshalb sollten wir uns erlauben, davon eine ganze Menge zu machen. Konstruktive Kritik und Feedback helfen uns beim wachsen. Wenn unter den Spieler.innen eine Person regelmäßig unzufrieden ist, über Regeln diskutiert oder deinen Plot sabotiert, biete ihr die Spielleitung an deiner statt an. Meckern ist leicht, besser machen schwer.
Bonus-Tipp: Sei ein Fan deiner Spieler:innen
Das ist eine der Grundegeln in unserem bevorzugten Regelsystem Dungeon World. Ihr spielt, um Spaß zu haben. Wenn die Kopfgeldjägerin sich am Kronleuchter über die Festtafel schwingen und der Ogerin, die soeben durch das Fenster gebrochen ist und den Prinzen gefangen genommen hat, mit einem Salto ins Genick springen will, lass sich nicht drei Geschicklichkeits- und eine Angriffsprobe würfeln. Gönn ihr den Rampenlichtmoment und lass sie eine Probe würfeln, um festzustellen wie cool sie dabei aussieht, nicht, ob sie es schafft.
Natürlich sollen Encounter herausfordernd sein und die Spieler.innen den Sieg nicht geschenkt bekommen. Der Schwerpunkt sollte aber auf einer schönen, gemeinsamen Zeit liegen. Sei flexibel und hab Spaß, sei ein Fan deiner Spieler:innen und ihrer Charaktere. So wird es ein schöner Abend für alle und es bleibt unbemerkt, dass die Ogerin gerade rechtzeitig kam, um den Prinzen zu entführen, bevor die Diebin ihm mit ihrem Wahrheitsgift das Versteck des Schatzes entlocken konnte. Schließlich wollten wir noch ein bisschen spielen, bevor es Zeit war, Pizza zu bestellen.