In schlechten Zeiten werden die Röcke länger
Und was das für queere Literatur bedeutet
Der Ausspruch „In schlechten Zeiten werden die Röcke länger.“ fiel neulich in einem Podcast, der sich mit den aktuellen Krisen befasste und Phänomene wie die Trad Wives und die New Alt Right behandelte. Wie immer habe ich diesen Podcast nicht selbstgehört, sondern beim Frühstück eine Zusammenfassung meines Mannes – er ist sowas wie mein Medienbeauftragter, der mich mit allen wichtigen Fakten versorgt, damit ich mehr Zeit zum Schreiben haben und trotzdem nicht vollkommen den Eindruck vermittele, unter einem Stein zu leben. Die ursprünglich „Minirock-Index“ genannte Beobachtung beschreibt eine Korrelation zwischen Mode und Wirtschaft: In Zeiten des Niedergangs sinkt der Saum zu Boden, während er, wenn die Wirtschaft boomt, wieder steigt. In wirtschaftlich unsicheren Zeiten werden also die Rocksäume länger, was den Rückzug in konservative Werte und Normen symbolisiert.
Als Person, die schon mal ein repressives Regime kennenlernen durfte, wenn auch nur bis zum 7. Geburtstag, und die sehr lange gebraucht hat, sich mit ihrer eigenen Queerness auseinanderzusetzen und ein Stück weit zu arrangieren (auch, wenn ich nach außen hin teilweise erfolgreich den Anschein erwecke, eine vergleichsweise normale Frau in einer monogamen Hetero-Beziehung zu sein, kann ich euch versichern, dass das meiste davon Schein ist), die erst seit wenigen Jahren überhaupt offen darüber spricht und entsprechende Ideen und Vorstellungen in ihren literarischen Werken (manche würden sagen, Schundromanen) verarbeitet, beobachte ich diese Rückkehr zu konservativen Werten mit Besorgnis. Der Vormarsch des Konservatismus setzt weltweit LGBTQ+-Rechte unter Druck und hart erkämpfte Errungenschaften der letzten Jahrzehnte scheinen zu erodieren. Ein kleines Beispiel ist das vorgebliche Jugendschutzgesetz in Ungarn, das die Darstellung von Homosexualität gegenüber Minderjährigen verbieten soll. Mal abgesehen davon, dass das die Meinungsfreiheit und die Kunstfreiheit einschränkt, behindert es vor allem die Sichtbarkeit queerer Menschen und führt dazu, dass in einer weiteren Generation zahlreiche Menschen sich ihr Leben lang fragen, was eigentlich nicht mit ihnen stimmt, (Fun Fact: Als ich neunzehn war, dachte ich tatsächlich, meine damalige Freundin und ich wären just gal being pals. Es dauerte danach noch einige Jahre, bis ich kapiert hatte, dass lesbische Beziehungen real sind.)
Auch die konservative Regierung Großbritanniens unter Premierminister Rishi Sunak trägt mit Maßnahmen dazu bei, die Transrechte einschränken und den Diskurs um Geschlechtsidentität politisieren. Das hat sich beispielsweise in der Blockade eines schottischen Selbstbestimmungsgesetzes und der Einführung eines „Zaren für Redefreiheit“ an Universitäten geäußert, der die Meinungsfreiheit überwachen soll.
Diese Entwicklungen sind Teil einer größeren „Anti-Gender“-Bewegung, die sich gegen Gleichstellungspolitik, LGBTQ+-Rechte und Gender Studies richtet. Bewegungen dieser Art nutzen Krisenzeiten, um konservative Ideologien voranzubringen und progressive Errungenschaften zurückzudrängen.
Besonders deutlich zeigt sich das meiner Ansicht nach in der Gen Z, die so gespalten wie keine andere zuvor ist. Bei der letzten Bundestagswahl kam in dieser Altersgruppe zwar erfreulicherweise die Linke auf die meisten Stimmen, aber auch die AFD ist beliebt wie in keiner anderen Generation. Die wachsende Kluft zwischen progressiven und konservativen Strömungen verläuft interessanterweise entlang der Geschlechtergrenze (wenn wir mal annehmen, es gäbe eine): junge Frauen vertreten tendenziell liberalere Positionen, während junge Männer eher zu konservativen Ansichten tendieren. Theorien, warum das so ist, gibt es zur Genüge, die, die ich vertrete, geht davon aus, dass konservative Werte vergangener Jahrhunderte sich um patriarchale Strukturen ranken, die Männer bevorzugen und Frauen benachteiligen, weshalb die einen sie bevorzugen und die anderen eben nicht. Gerade junge Menschen, die durch die rasante Entwicklung der letzten Jahre, den familiären und gesellschaftlichen Druck sowie die wachsende Unsicherheit mit Depression, Burnout und Zukunftsängsten kämpfen, stärker noch als jede Generation vor ihnen, lassen sich leicht instrumentalisieren.
In diesem Klima stellt sich die Frage: Was bedeutet das für queere Autor*innen? Wie können wir in einer Zeit, in der Diversität und Inklusion unter Beschuss stehen, unsere Stimme erheben und gehört werden?
Es kann nur eins bedeuten, nämlich, dass unsere Geschichten wichtiger denn je sind, aber es auch wieder mehr Mut erfordert, sie zu erzählen. Gerade jetzt müssen wir Geschichten erzählen, in denen queere Identitäten sichtbar, komplex und menschlich dargestellt werden. Gerade in den Mainstream-Medien wird gerne vereinfacht und auf Stereotype zurückgegriffen, weshalb ich für den Indie-Bereich die besondere Aufgabe sehe, stattdessen die Vielfalt und Tiefe queerer Erfahrungen in ihrer ganzen Bandbreite zu zeigen.
Wenn konservative Kräfte versuchen, die Gesellschaft zurück in vergangene Normen zu drängen, ist das Schreiben queerer Geschichten ein Akt des Widerstands. Und wenn es etwas gibt, dass tief in meiner Persönlichkeit verwurzelt ist, dann Widerstand. Nicht umsonst drehen sich viele meiner Romane, jene, die schon veröffentlicht wurden, und jene, die zur Zeit noch in Bearbeitung sind, um genau das: Widerstand gegen eine repressive Gesellschaft. Dabei versteht es sich für mich von selbst, dass diese Geschichten immer ein glückliches Ende haben. Die Welt ist traurig genug, wenigstens in der Fantasie möchte ich, dass die Unterdrückung überwunden wird und wieder Freiheit und Vielfalt regieren. Es liegt an uns Autor*innen, alternative Narrative zu schaffen, Empathie zu fördern und die Vorstellungskraft für eine inklusivere Zukunft zu öffnen.
Mit solchen Geschichten kämpfen wir gegen die Rückwärtsbewegung an und tragen dazu bei, eine Zukunft zu gestalten, in der alle Menschen unabhängig von ihrer Identität gesehen, gehört und respektiert werden.
Zumindest können wir den Traum von einer solchen Zukunft am Leben erhalten, und manchmal ist das alles, was zählt.
Kurz gesagt: Die Röcke werden länger – meine Romane werden queerer – deine auch?
Die Welt mag vielleicht gerade mit dem Blick in den Rückspiegel fahren und ihn für die Straße vor uns halten, mit konservativen Kräften hinterm Steuer, die nach dem Motto „Früher war alles besser. Sogar die Zukunft.“ lenken und weiter stur auf den Abgrund zuhalten.
Aber mal ehrlich?
Das war schon immer so. Die menschliche Geschichte ist seit jeher ein Auf und Ab von progressivem Fortschritt und dramatischen Rückwärtsbewegungen. Es ist wie bei der Heldenreise im Roman: Nach dem scheinbaren Sieg kommt der Absturz, aber am Ende ist das Licht. Ich glaube fest daran, dass jede Geschichte, die diesem Licht dient, wichtig für unsere Zukunft ist.
Und ich möchte glauben, dass meine Geschichten ihren Beitrag zu einer bunteren, vielfältigeren, inklusiveren Welt leisten. Deine auch?
Wenn du Lust hast, eine dieser queeren Geschichten über Widerstand gegen finstere Mächte zu lesen, kann ich dir meine Seelenbande-Trilogie empfehlen. Diese Geschichte über die magiebegabte Möbelpackerin Gene in einer komplexen, vielschichtigen Urban-Fantasy-Welt erzählt von Opferbereitschaft, Selbstwert und dem Widerstand gegen Unterdrückung. Melde dich für meinen Newsletter an, um das Prequel kostenlos zu lesen.
Bild: u_haf243ht7r auf Pixabay