Zeit für einen kleinen Teaser! Hier kommt die erste Szene aus meinem neuen Roman Konfabellationen, der am 30.08.25 erscheint.
Weitere Infos folgen demnächst!
Es ist nicht Stalking, wenn dein Opfer dich nicht bemerkt
„Was tun wir hier eigentlich?“, fragte Devika.
Bella steckte sich die nächste Zigarette an und lehnte sich im Fahrersitz ihres ramponierten Corollas zurück. „Halt die Klappe“, murmelte sie und sah auf ihr Handy. Siebzehn Uhr siebenundfünfzig. Natürlich war der blöde Schulbus mal wieder zu spät, was bedeutete, dass Frank vor Marie-Luise zu Hause sein würde, denn anders als bei den Münchner Verkehrsbetrieben konnte man nach diesem Mann die Uhr stellen. Und schon bog sein nagelneuer Touran um die Ecke und rollte mit vorschriftsmäßigen fünf Kilometern pro Stunde die Siedlungsstaße hinunter. Bella fluchte, klemmte die Kippe zwischen die Lippen und legte den Rückwärtsgang ein.
„Hast du überhaupt in den Spiegel geguckt?“, fragte Devika.
Bella rollte mit den Augen, sah in den Rückspiegel und schoss dann gekonnt im neunzig Grad Winkel in den Sackgassenausläufer der Hausnummer siebzehn bis vierundzwanzig. Als Frank vorbeirollte, sah er zu ihr herüber.
„Shit!“ Bella duckte sich auf den Beifahrersitz. Vorsichtig lugte sie wieder über den Rand der Frontscheibe, gerade als Frank in seine Grundstückseinfahrt einbog und den Wagen in die Doppelgarage mit den aufgemalten Pferdekutschen lotste. Bella aschte die Kippe aus dem Fenster ab und lehnte sich wieder zurück.
„Jetzt steig aus und rede mit ihm.“ Devika fing an zu nerven.
„Ich sagte doch schon, dass du die Klappe halten sollst.“ Bella zog an ihrer Kippe und entließ den Rauch in kleinen, runden Wölkchen in die Luft, wobei sie wie ein Fisch die Wangen aufblähte und den Mund zu einem O formte.
Frank stieg aus und eilte nach vorn zur Bushaltestelle an der Hauptstraße, wo auch gerade das schneematschverkrustete Rot des Linienbusses 8 in Sicht kam. Bella sah ihm nach, eine Mischung aus Frust, Sehnsucht und Wärme im Herzen, wie er seine präpubertierende jüngste Tochter in Empfang nahm und mit einem lässigen Handschlag begrüßte. Die ikonische Melodie von Breaking the Law dröhnte aus ihrem Rucksack. Sie langte in den Fußraum des Beifahrersitzes und holte ihr Handy hervor. Wer rief mal wieder zum ungünstigsten Zeitpunkt an? Sie starrte den Namen auf dem Display an und zögerte. Konnte sie es sich leisten, nicht ranzugehen?
„Geh verdammt nochmal ans Telefon, du dumme Nuss!“, schimpfte Devika und versetzte ihr einen Schlag auf den Kopf.
Bella strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und drückte auf den grünen Knopf. „Hallo Charlie.“
„Hi, Mama!“ Charlie klang fröhlich, im Hintergrund spielte Musik und Leute lachten. „Hast du heute schon was gegessen?“
Bella kniff die Augen zusammen. Sie starrte die halbleere Dose zuckerfreies Kaugummi mit Wassermelonengeschmack an. „Hat Rosi dich dazu angestiftet?“, fragte sie.
„Was?“ Charlie lachte. „Denkst du, Nana müsste mich auf dich ansetzen, damit ich mir Sorgen mache?“
Bella kniff sich in den Nasenrücken. „Zum hunderttausendsten Mal, es heißt Nani auf Hindi, nicht Nana. Nana ist der Großvater und zu dem fehlt Rosi trotz ihres Schnurrbarts noch ein entscheidender Teil.“
„Ew, Mama, halt die Klappe, ja?“ Charlie hielt das Handy offenbar ein Stück vom Ohr weg, denn ihre Stimme wurde leiser, aber der Krach lauter.
„Die Flügel meine ich natürlich. Oder hast du vergessen, dass deine Mutter das Kind eines leibhaftigen Engels ist?“
Charlie schnaubte. „Träum weiter, Bella. Der einzige Engel in dieser Familie bin ja wohl ich. Also hast du nun was gegessen oder nicht?“
Bella knurrte. „Ich hab’s auf’m Zettel, okay?“
Charlies Stimme wurde ernster. „Hör mal, Mama, du musst was essen, ja? Ist heute nicht noch Training? Du weißt, dass dir das nicht gut tut, wenn du dich tagelang nur von Kaffee, Kaugummi und Zigaretten ernährst.“
„Meine Fresse, krieg dich ein. Wer ist hier die Mutter, du oder i…“ Es klopfte ans Fenster. Bella zuckte zusammen und ließ das Handy fallen. Frank sah mit gerunzelter Stirn herein.
„Fuck!“ Bella startete den Motor.
„Isabelle? Bist das d…“
Sie trat das Gaspedal durch und raste mit röhrendem Motor die Straße hinunter.
„Hey!“ Frank lief ihr ein Stück nach, verschwand jedoch im Rückspiegel, als Bella um die Ecke stach. „Fuck, verdammt!“
„Mama?“, drang es unter dem Sitz hervor. „Was ist passiert?“
„Nichts!“, rief Bella und heizte in Richtung Bundesstraße.
„Stalkst du etwa schon wieder Dad?“
„Nein!“, rief Bella. „Und nenn ihn nicht so, er ist nicht dein …“ Es blitzte. „Du willst mich doch verarschen!“
Einige hundert Meter vor Bella trat ein Polizist auf die Straße und winkte sie mit der Kelle raus. Mit knallroten Wangen, die Hände um das Lenkrad gekrallt, fuhr Bella an den Straßenrand. „Grüß Gott, die Dame“, sagte der junge Mann mit dem Schnittlauchkostüm und dem Bürstenhaarschnitt. „Allgemeine Verkehrskontrolle. Führerschein und Fahrzeugpapiere bitte.“
„Äh … klar.“ Bella warf einen Blick ins Handschuhfach und wühlte darin herum.
„Mama? Mama, ist alles in Ordnung? Du bist nicht schon wieder in einen Blitzer gerast, oder? Das letzte Mal ist noch keine W…“ Bella tatschte auf die rote Schaltfläche am Handy und legte es auf den Beifahrersitz. „Die Papiere müssen hier irgendwo sein …“, murmelte sie. Doch außer einer Quittung vom Schnellfress, einem leeren Lippenstift, einer Dose Lutschbonbons und dem Strafzettel vom letzten Mal fand sie nichts.
„Wissen Sie, warum wir Sie angehalten haben?“, fragte der Polizist. Sein Kollege war inzwischen nähergekommen und beäugte sie aufmerksam.
Weil dieser bankrotte Staat mir das sauer verdiente Geld aus der Tasche ziehen will, dachte Bella. „Nicht die leiseste Idee“, sagte sie.
„Weil’S mit achtundsiebzig Ka Em Hah durch a geschlossene Ortschaft geheizt sind“, sagte das Bürscherl da glatt. „Is Ihnen des ned aufgefallen?“
Bella grunzte nur. Seit sie einmal einen extraüppigen Strafzettel für die Aussage bekommen hatte, sie hätt’s eben eilig gehabt, („aha, Vorsatz also“), sagte sie lieber nix Verfängliches mehr.
„Des macht 180 Euro und einen Punkt in Flensburg. Sie haben Glück, dass wir heute ned in der Siedlung geblitzt haben, dann wär der Lappen weggewesen.“
„Ist sowieso nur noch ’ne blöde Checkkarte heutzutage“, murmelte Bella.
„Wie war das?“
Bella griff in ihre Jackentasche, holte den Geldbeutel heraus und reichte dem Mann ihren europäischen Führerschein, den sie erst Anfang des Jahres unter Protest bei der Zulassungsstelle eingetauscht bekommen hatte.
„Vielen Dank, Frau Witzigmann. Haben Sie die Möglichkeit, das Bußgeld direkt zu bezahlen?“
„Klar, ich hab immer genug Bargeld für einen privaten Whirlpool im Puff dabei.“
Der Polizist hob eine Augenbraue, während sein Kollege hinter ihm ein Grinsen unterdrückte. „Dann bekommen Sie die Zahlungsaufforderung per Post“, sagte das Bürscherl. „Ich brauche trotzdem noch den Fahrzeugschein.“
Bella atmete tief durch. „Geben Sie mir nochmal ‘ne halbe Minute zum Suchen, ja?“ Sie tastete unter den Sitzen, durchwühlte das Seitenfach der Tür, drehte sich zur Rückbank um, wo ihre Sporttasche auf einem Berg aus Zeug thronte. „Hören Sie, das ist mein Auto, okay? Rufen Sie meine Katze an, die kann das bestätigen.“
Der Polizist schob sich die Mütze in den Nacken und sah ratlos aus. „Das glaub ich Ihnen auch ohne feline Bestätigung. Aber wenn Sie den Fahrzeugschein nicht dabei haben, kostet das noch mal 10 Euro extra für nicht mitgeführte Papiere.“
Bella verkniff sich ein Augenrollen. „Dann packen Sie’s eben mit auf die Rechnung. Ich hab einen Termin und muss weiter.“
Der Polizist tippte die Daten von ihrem Führerschein in sein Handheld. Er hatte so einen kleinen Taschendrucker wie die Kontrolleure der MVG und reichte ihr nach einigem ääängääängängängäng einen druckfrischen Strafzettel. „Fahren’S ab jetzt bitte vorsichtiger, Frau Witzigmann.“
Bella brummte etwas und zog wieder auf die Straße raus. „Was für ein beschissener Montag“, murmelte sie und hätte fast wieder zu viel Gas gegeben, aber ein Strafzettel pro Tag genügte selbst ihr.
„Das hätten wir uns alles sparen können, wenn du nicht andauernd den Vater unserer Tochter stalken müsstest“, sagte Devika mit diesem vorwurfsvollen Unterton, der Bella zur Weißglut brachte. „Halt die Klappe“, erwiderte sie und nahm die Auffahrt Richtung Osten auf die Bundesstraße.