Ein bisschen bi schadet nie?

Als bisexuelle, genderfluide Person schreibe ich am liebsten über … rate mal.

Genau!

Sexy Dämonen, die sich in einer Arena kloppen.

Ja, damit haste nicht gerechnet, gell?

Aber im Ernst: Ich schreibe am liebsten über bisexuelle, genderfluide Charaktere, aber da gibt es ein paar Probleme. Das größte davon ist, dass meine Protagonistinnen ausnahmslos weiblich gelesene Personen sind, die in den meisten Fällen einen korrekten linken Haken haben und auf eine unerwünschte Anmache mit einem zünftigen „Fuck you, dude“, reagieren. Außerdem liebe ich den Grumpy x Sunshine Trope, bzw. Charakterdynamiken, bei denen eine Figur hart und draufgängerisch ist und die andere soft und cute. Ein geeigneter Love Interest für diese Art von Protagonistin muss dementsprechend also soft und cute sein und nun ja, softe, cute Frauen gibt es für meinen Geschmack schon zur Genüge als Love interest, also muss ein softer, cuter Typ her und schon sind wir beim Problem: Obwohl meine Prota bi ist, hat sie einen hetero Love Interest, weil die Charakterdynamik nach einem soften Gegenpart verlangt (aber keine Sorge, nur sein Charakter ist soft, seine Männlichkeit ist hart und ausdauernd oder wie meine Lektorin zu sagen pflegt: „Der eigentlich Fantasy-Aspekt deiner Bücher ist die grenzenlose Stamina der männlichen Love Interests“). Was tun, sprach Zeus, die Götter sind besoffen und bekotzen den Olymp. Die Lösung liegt für jemanden, der seit zwanzig Jahren [zensiert, zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte Dritter] auf der Hand: Ein schickes kleines Polycule mit einer weiteren Frau oder genderfluiden Person, bäm, Problem gelöst. Aber mache ich es mir damit nicht zu einfach?

Bi für den Vibe™

„Ein bisschen bi schadet nie“, sagten wir Gen Xer schon in den neunzigern und lachten darüber – bis dann jemand sich tatsächlich als bi outete, dann blieben das Lachen in der Kehle stecken und alle guckten doof. (Nicht, dass mir das jemals passiert wäre *hüstel*.) Aber irgendwie ist es schon hot, wenn die Prota erst noch mit einer Lady rummacht, bevor sie sich in den hetero Love Interest verschaut wie Teenie-Me in Kevin von den Backstreet Boys, und nie wieder eine Frau anfässt.

Ist das dann noch bi oder schon Queer Bating? Ein hübscher Regenbogen-Aufkleber auf einem Matheheft. Ein Label zum Vorzeigen, Repräsentation light, quasi queerwashed (recherchiere ich jetzt, ob es das Wort schon gibt oder freue ich mich über meine Kreativität?).

in jedem Fall ist es ein Problem und eine Falle, in die ich auch schon getappt bin. Bisexualität ist keine coole Randnotiz. Keine Geheimzutat, die man in eine Figur rührt, damit sie ein bisschen Diversität suggeriert, ohne dem Plot zu schaden. Sie ist eine komplexe, oft unsichtbare Erfahrung – besonders in einer Welt, die alles binär einordnet: Mann oder Frau. Homo oder Hetero. Normal oder komisch. Gerade, wenn eine wie ich komisch ist, macht sie sich ein bisschen mehr Gedanken darüber, was ihre Geschichten für ein Bild vermitteln. Denn ja, meine Protagonistinnen enden häufig in den Armen eines Mannes.

Das kann durchaus das Gefühl vermitteln, sie wäre Bi für den Vibe™, weil es sie cooler, härter, attraktiver macht. Das tut weh und das will ich um jeden Preis vermeiden. Aber wie?

Heterodynamik oder Charakterlogik?

Das Unangenehme daran für mich ist: oft will ich einfach einen männlichen Love Interest.
Nicht, weil meine Protagonistin heimlich doch nur auf Typen steht. Tut sie nicht. Eigentlich bevorzugt sie Frauen (jedenfalls war das bisher bei den meisten Protagonistinnen so). Ganz sicher nicht, weil das einfacher zu vermarkten wäre als eine lesbische Beziehung (ich habe ein paar sehr süße Sapphic Romances in der Mache, stay tuned!). Sondern weil er genau diese Energie mitbringt, die sie reizt, nervt und rettet.

Irgendwie süß. In sich ruhend. Absolut loyal. Und dabei nicht nur bisschen kaputt.
Bestes Beispiel: Kieran Lough aus der Seelenbande-Reihe. Er ist durch die Hölle gegangen (buchstäblich), hatte sein ganzes, verdammt langes Leben lang nur Misshandlung und Herabwürdigung gekannt und dann kommt diese Frau und begegnet ihm ganz selbstverständlich mit Freundlichkeit. Kein Wunder also, dass er sich sofort unsterblich in sie verliebt. Ist das toxisch? Oh, ja. Ist es dennoch nachvollziehbar? Hoffentlich. Braucht er Therapie? Kriegt er. Sogar schon im 2. Band. (Dauert dann aber noch ein bisschen, bis sie Wirkung zeigt.)

Aber ist es Bi-Erasure, wenn sich die Prota diesem treuherzigen Hütehund, der sie vergöttert, nicht entziehen kann, sondern sich auf ihn einlässt (aus freien Stücken, kein Stalking involviert.)?

Ich weiß es nicht. Ich würde sagen, es ist einfach Storytelling. Die Geschichte verlangt es, denn indem er sie für etwas liebt, was für sie vollkommen selbstverständnlich ist, kann sie Stück für Stück erkennen, dass ihr Wert nicht davon abhängt, wie nützlich sie für andere ist – sie darf einfach geliebt werden für das, was sie ohnehin schon ist.

Hätte das auch mit einer Frau funktioniert? Vermutlich. Aber ich liebe nun mal Kieran. Nicht als Hottie (was er natürlich auch ist), sondern als Ausdruck eines Teils meiner Seele, der selten sichtbar wird, und hier einmal zu Wort kommt.

Mein Problem damit: Von außen betrachtet sieht es trotzdem aus wie: „Wieder so ’ne Bi-Figur, die letztlich einen Typen dated. Wie praktisch.“
Das ist aber genau der Punkt.

Es geht nicht darum, dass jede bisexuelle Figur in jedem Buch mindestens eine gleichgeschlechtliche Beziehung führen muss.
Es geht nicht darum, dass Bi-Sein ein Plot-Bingo ist, bei dem man alle Geschlechter einmal durchdeklinieren muss, bevor man zur letzten Seite kommt.

(Obwohl meine Protagonistinnen das natürlich tun, weil ich nun mal gerne über Leidenschaft und Sex schreibe. Deal with it.)

Wichtig ist dabei trotzdem: Wenn eine Figur sagt, sie sei bi, darf das nicht nur ein Eintrag im Charakterbogen sein. Dann sollten wir sehen, spüren, ahnen, dass da eine Geschichte dahinter steckt. Dass es innere Konflikte gibt, gesellschaftliche Reibung, vielleicht auch Momente des Zweifelns. Oder des Lustvollen, Verwirrenden, Befreienden, es sollte halt nicht flach sein, ne?

Sonst ist es doch nur Bi fürs Label, Hetero fürs Feeling. Das darf es nicht sein, weil das einfach zu wenig ist für eine Welt, in der so viele bi Menschen ständig unsichtbar gemacht werden.

Polycule – der große Bi-Ausweg?

Dachte ich mir halt so. Hat natürlich nichts damit zu tun, dass ich einfach sehr interessiert an dem Konzept bin und es mir immer wieder gern in seinen zahlreichen Facette ausmale. Da haben wir den süßen, loyalen Typen zum einen. Die kaputte Prota natürlich, check. Und dann fügen wir eine dritte Person hinzu. Eine genderfluide Gestaltwandlerin mit einer Vorliebe für Werwölfe vielleicht, ein nichtbinärer Dämon* mit eine Schwäche für Basbusa oder ganz klassisch eine Frau, die unsere Protagonistin retten darf, weil sie nun mal der Typ ist, der gerne Leute rettet (außer sich selbst, aber das lernt sie noch).
Das Polycule als handfester Nachweis, dass unsere Bi-Prota wirklich, ehrlich ganz echt Bi ist (oder pan, ich bin mir nie so ganz sicher, wie wichtig diese Unterscheidung ist, da ich mir kaum vorstellen kann, dass eine Person auf dem Spektrum der Genderzugehörigkeiten zwei Punkte markiert und sagt „nur die beiden, sonst nix“, aber korrekter ist es vermutlich schon).

Aber halt. Nur weil du drei sexy Menschen ins Boot wirfst, wird daraus noch lange kein guter Roman. Ein Polycule ist keine magische Lösung für erzählerische Tiefe. Es ist eine zusätzliche Herausforderung, die Beziehungsdynamik überzeugend zu gestalten, und keine kleine.

Wenn mein Polycule bloß aus ästhetischen Gründen existiert, weil’s hot ist oder queerer wirkt, dann bin ich wieder genau da gelandet, wo ich nicht hinwollte: Beim queeren Stickeralbum. Eine Szene Spice, eine Szene Trauma-Talk, ein bisschen flauschige Gleichberechtigung und zack, erledigt. Echte Poly-Beziehungen hingegen? Sind ein Riesenhaufen Arbeit: Gefühlsarbeit, Kommunikationsarbeit, 4D-Beziehungsschach gewissermaßen. Als Autorin muss ich diese Dynamiken aufbauen, Konflikte skizzieren, Grenzen verhandeln lassen und mich vor allen Dingen mit so nervigen Themen wie Eifersucht, Vertrauen, Nähe auseinandersetzen. Das sind alles Dinge, die schon in Monobeziehungen Stoff für fünf Netflix-Staffeln bieten, nur jetzt mit jeder weiteren beteiligten Person potenziert.

Gut gemacht, ist das grandios. Eine Bühne für queere Vielfalt, für echte emotionale Tiefe und das radikale Plädoyer: Liebe ist kein Nullsummenspiel.

Aber wenn es nur für den Vibe ist, riecht man’s zehn Seiten gegen den Wind. Dann ist es ein bisschen queer, ein bisschen hot – aber bar jeglicher Substanz. Und dafür ist mein Bi-Herz zu schade. Da geht mehr.

Also, was denn nun?

Die Lösung ist im Prinzip nicht so kompliziert, wenn ich nicht gerade Angst vor einem Shitstorm habe. Was nicht so einfach ist, selbst, wenn ich mir einrede, dass der schon häufig gut fürs Geschäft bestimmter Leute gewesen ist. Aber letztlich geht es einfach darum Figuren, egal ob bi, hetero oder homo als ganze Menschen zu schreiben. Nicht als Symbol. Nicht als Projektionsfläche. Nicht als wandelndes Wikipedia-Glossar für sexuelle Vielfalt. Als echte Personen mit Schwächen, Stärken, Vorlieben und Abneigungen, die sich verlieben, zweifeln, kämpfen, langweilen, Sex haben, ohne ständig etwas Bestimmtes repräsentieren zu müssen.

Liebe hat viele Formen. Bi-Menschen sind komplex und nicht weniger bi, weil sie nur eine Partnerin oder einen Partner haben, und ihre Beziehung dadurch homo oder hetero wirkt. Bi sein ist kein Kompromiss. Es ist kein Wackelzustand auf dem Weg zu einer klaren Identität. Es ist auch keine Marketingschublade.

Es ist ein Ja.
Zu mehr als einer Möglichkeit.
Zu mehr als einem Begehren.
Zu mehr als einem Ende.

Und genau so sollten wir es erzählen.


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Foto: Pixabay

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