Mein Self-Insert-Charakter in Seelenschulden ist nicht, wer du vielleicht denkst

Self-Insert? Was soll das denn jetzt wieder sein?

Alle, die schreiben, kennen diese Frage: „Und wer bist du in der Geschichte?“
Manchmal kommt sie von wohlmeinenden Freund*innen, manchmal von neugierigen Leser*innen – und manchmal von Leuten, die ganz genau zu wissen glauben, dass man sich doch safe selbst reingeschrieben hat. Spoiler: Ja. Nein. Vielleicht. Es ist kompliziert.

Im Englischen nennt man sowas Self-Insert und weil unser Leben so von der amerikanischen Kultur geprägt ist, dass es uns manchmal schwerfällt, Konzepte, die wir vor 25 Jahren noch nicht kannten, mit einem adäquaten deutschen Wort zu versehen, bleibe ich dabei. Ein Self-Insert ist eine Figur, in die sich die Autorin mehr oder weniger bewusst selbst hineingeschrieben hat. Sie wird manchmal auch Mary Sue genannt (Vorsicht, der Link für zu TVTropes, das ist ein Rabbit Hole, aus dem man nicht leicht wieder rauskommt), besonders, wenn sie einfach perfekt ist und von enormer Bedeutung für die Handlung. Dabei kann so ein Self-Insert als sein: eine Wunschprojektion, ein Ventil oder eine versteckte Therapiestunde. Und ja, manchmal ist es auch einfach Faulheit, frei nach dem alten Schreibprinzip „Schreib, was du kennst“ (besser: Schreib, was du kennen willst, aber das ist ein Thema für einen anderen Essay).

Grundsätzlich ist aus meiner Sicht auch gar nichts dagegen einzuwenden, sich selbst in eine Geschichte zu schreiben. Auch Mary Sues finde ich absolut unkrtitisch. Ja, sie sind überperfekt, überintelligent, überattraktiv – und natürlich von allen heiß begehrt. Aber mal ehrlich, Leute, wer sind wir, dass wir uns über das 14-jährige Mädchen (oder die 41-jährige Frau) erheben, die einmal in ihrem Leben auch der geile heiße Scheiß sein will, und sei es nur in einer Geschichte, die sie selbst geschrieben hat? Ich sage, alle Macht in deine Hände, Mary Sue! Schreib deinen Traum, lade dich mit Selbstbewusstsein auf und dann lebe deinen Traum! Ehrlich, was soll dieses Gebashe von Menschen, die Geschichten erzählen, um ein Teil von etwas zu sein, dass sie lieben? /rant

Es gibt nur einen soliden Kritikpunkt an einem überperfekten Self-Insert, nämlich, dass deine Leserin nicht deinen Traum lebt und wenn du das Buch für sie geschrieben hast, dann sollten alle Figuren für sie rund, nachvollziehbar und handlungstragend sein, nicht nur für dich.

Fazit: Es spricht nichts dagegen, dich selbst in die Geschichte zu schreiben, solange die gewählte Figur immer noch eine spannende und für die Leserin emotionsgeladene Geschichte erzählt.

Nach allem, was ich bisher gehört habe, tun das die meisten meiner Figuren in der Seelenbande-Reihe für viele Leser*innen. Nicht nur deshalb gebe ich gern unumwunden zu, dass in jeder dieser Figuren ein Teil von mir steckt. In Gene offensichtlich, aber auch in Diana, erstaunlich viel in Dr. Telmara (bis auf die mangelnde Empathie) und auch in meinem lieben, tapferen Redemption-Arc-worthy Augustus Hormezyor (auch hier ist wieder die fehlende Empathie der entscheidende Unterschied – aus den besten Menschen werden die furchtbarsten, wenn ihnen die abgeht).

Ein Charakter aber ist mein persönlicher Self-Insert. Der Typ, bei dem ich mich jedes Mal, wenn ich eine Entscheidung über sein Verhalten treffen sollte, fragte: WWBD – What would Bess Do? Was würde Bess tun?

Und wer ist das nun?

Ja, wer?

Geduld, junger Padawan.

Wer mich ein bisschen kennt, und Seelenbande gelesen (oder zumindest einen Haufen darüber gehört hat, weil ich einfach nicht die Klappe darüber halten kann), denkt häufig als Erstes, mein Self-Insert wäre Gene. Ergibt ja auch Sinn: Sie hat einen komischen Namen, den sie durch einen bescheuerten, englischen Spitznamen ersetzt, sie ist mutig, stark, ein bisschen unterbelichtet, immer ehrlich und natürlich die Protagonistin. Wer sollte es denn verdammt nochmal sonst sein? Die Antwort auf die Frage dürfte viele überraschen.

Wenn ich sage: Es ist nicht Gene, kommen natürlich sofort weitere Theorien auf: Ist es Peter? Doktor Telmara? Hormezyor? Carolina? Warte … mir fällt gerade auf, dass nach dem perfekten besten Freund nur noch die Antagonisten aufgelistet werden. Was denken die Leute über mich? Auch Diana wird nie angeboten. Liegt es daran, dass ich nicht weiß, wie man sich ordentlich schminkt, oder dass ich im Gegensatz zur Lieblings-Influencerin aller Leser*innen keine 20.000 Follower habe? (Es liegt daran, dass du keinen Glamour benutzt, um deine Tränensäcke zu kaschieren. – Anm. d. Autorin)

Wie auch immer. Mein Self-Insert ist jemand ganz anderes, an den komischerweise niemand denkt, wenn ich das sage: Kieran.

Ja, da guckste jetzt, gell? So haben meine Leser*innen auch geguckt.

Kieran? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn.

Oh doch. Es ergibt so viel Sinn, dass ich mich jedes Mal wundere, warum niemand drauf kommt.

In meinen Zwanzigern war ich lange Zeit auf einem Selbstfindungstrip, und habe mich in allen möglichen Esoterikerkreisen rumgetrieben. Ohne jetzt ins Detail gehen zu wollen: Ich bin im Wesentlichen drüber hinweg, aber mein zutiefst magisches Denken haben auch die zahlreichen Enttäuschungen aus dieser Zeit nicht heilen können, weshalb ich immer noch an solch seltsame, nicht nachweisbare und schräge Dinge wie die Reinkarnation der Seele glaube. Wenig überraschend, denn das ist auch ein großes Thema in der Seelenbande-Reihe, die im Prinzip die Frage beantwortet: „Was wäre, wenn meine Vorstellung von Karma und Reinkarnation real wäre?“

Kieran ist mein Self-Insert, weil ich in meiner Vorstellung denselben Weg wie er gegangen bin: Einst ein furchtbarer Mensch, durch die Erfahrungen aus vielen Leben zu einem besseren geworden ist. Er ist nicht der lauteste Charakter in der Seelenbande-Reihe, auch nicht der kaputteste oder der wildeste. Er ist nicht mal der heißeste, wobei das natürlich Geschmackssache ist. Aber er ist der loyalste. Wie ein Golden Retriever, der dir noch bis ans Ende der Welt über heißen Asphalt hinterherläuft, obwohl seine Pfoten brennen. Er macht seinen Wert vollständig von der Anerkennung anderer abgängig und stellt seine Bedürfnisse solange in den Hintergrund, bis er es absolut nicht mehr aushalten kann. Aber das dauert.

Kieran ist der Teil von mir, der Konflikte hasst, aber Verantwortung liebt. Der alles gibt und nichts annehmen kann. Der lange gebraucht hat, um zu verstehen, dass Stärke nicht bedeutet, alles alleine zu schaffen und im Stillen zu leiden.

Aber die Implikationen, Bess! Die Implikationen!

Ja, ich weiß. Was sagt es über mich aus, dass der bis zur toxischen Limerenz in Gene verschossene Emo-Dämon mein Self-Insert ist?

Aber was soll ich machen? Gene ist nun mal der perfekte Love Interest für Kieran. Sie ist klein, ihr Herz ist rein und sie will mit ihm zusammensein. Okay, das hat jetzt selbst mir wehgetan, sorry. Gene hat für Kieran etwas getan, was seit er sich zurückerinnern kann, und das sind immerhin 176 Jahre, niemand getan hat. Sie hat ihn als Menschen gesehen und als solchen respektiert. Und das reicht ihm einfach komplett. Deshalb liebt er sie und nur sie bis ans Ende seiner … okay, bis ans Ende von Band 3, aber das müsst ihr selbst lesen, was da zwischenzeitlich dank Therapie und sanfter Anleitung durch bestimmte, wundervolle, von mir heißgeliebte Charaktere mit ihm passiert. Denn Kieran wäre nicht mein Self-Insert, wenn er nicht auf lernfähig wäre.

Kierans Limerenz – dieses toxisch-romantische „Ich kann ohne dich nicht leben“-Ding – ist ein Problem. Er idealisiert Gene und hängt an ihr wie ein Ertrinkender an einem Stück Treibholz, dabei kann sie sich selbst kaum über Wasser halten. Kein Wunder, dass ihr das zu viel wird. Kein Wunder, dass sie weder ja noch nein zu ihm sagen kann. Sie will ihn retten, aber sie kann nicht. Bis Kieran das endlich lernt – und einen Weg findet, damit umzugehen, vergehen 250.000 Wörter.

Aber er findet ihn.

Und eine gute Therapeutin in Passau, die auf Übernatürliche und ihre Probleme spezialisiert ist.

Und damit hat er mir sogar was voraus, mit seiner Therapie.

Wobei ich ja keine brauche.

Klar, oder?

😇

Welche Frage zur Seelenbande-Reihe wolltest du schon immer beantwortet haben? Schreib’s mir und ich beantworte sie im nächsten Essay.


Bild: Seelenbande-Promo-Postkarte. Du willst so eine? Bestell ein Buch (egal, welches) und ich lege sie dir bei. Oder besuche mich auf einer Messe.

Wie hat dir der Beitrag gefallen?
[Bewertungen: 0 Durchschnitt: 0]
Nach oben scrollen