Eine weitere interessante Kategorie der Schreibübungen des Schreibforums ist das „Schreiben gegen die Zeit“. Jeden Sonntag um 19 Uhr haben die Teilnehmenden eine Stunde Zeit, zu einem Begriff eine Geschichte zu verfassen. Meistens habe ich da weder die Zeit noch den Nerv, auf die schnelle etwas zu schreiben. Einmal aber habe ich es getan und das Ergebnis gefällt mir ganz gut, daher teile ich es hier mit euch. Diese Szene spielt in der Welt von Gene im Dämonenreich.
„Alles zweitklassige Ware.“ Hugin betrachtete mit abschätizgem Blick die jämmerlichen Gestalten, die Kerfrek ihnen präsentierte. „Lass uns weitergehen, Herrin.“
Kara winkte ab. Ihre Rechte ruhte auf dem Griff ihres Säbels, während sie an den niederen Dämonen mit den gesenkten Köpfen und den geschundenen Leibern vorbei schlenderte. „Manchmal findet man Perlen im Schlamm“, sagte sie und deutete auf eine Frau, die erhobenen Hauptes stur geradeaus starrte. Ihre Augen wirkten unnnatürlich blau in dem schlammverkrusteten Gesicht. Vor ihr blieb Kara stehen und betrachtete sie eingehender.
Die beiden Rabenkrieger postierten sich links und rechts von ihr. „Mager“, sagte Hugin.
„Auf Ärger aus“, sagte Munin, als sie seinem Blick unverdrossen standhielt.
„Eine Kriegerin.“ Kara fasste sie beim Kinn. „Oder täusche ich mich?“
Die Frau funkelte sie an. Ihre Finger zuckten. Ihr ganzer Körper wirkte so gespannt wie eine Gerte kurz vor dem Schlag.
Kara drehte ihre Gesicht hin und her. Nach oben und unten, bis sie sich ihrem Griff entwand. Mit verkrampftem Kiefer machte sie einen Schritt zurück.
Da sauste schon Kerfreks Peitsche durch die Luft. „Zurück in die Reihe!“, keifte er.
Das Leder krachte auf den Rücken der Aufrührerin und zwang einen Schrei über ihre Lippen. Sie trat wieder in die Reihe. Die Lippen trotzig zusammengepresst, den Blick unverwandt auf Kara gerichtet.
„Es tut mir leid, Vogtin.“ Kerfrek kratzbuckelte vor seiner besten Kundin. „Hat sie euch beleidigt? Soll ich sie auspeitschen lassen?“
Kara schmunzelte. Dieser Markttag versprach, noch interessant zu werden. „Was denn, mein Bester? Seit wann so eifrig dabei, deine Ware zu beschädigen?“
Der Händler spuckte aus. „Die bekomme ich sowieso nicht verkauft. Ein Reisender aus Tifa hat sie mir aufgeschwatzt. Versicherte mir, sie wäre in den unglaublichsten Künsten körperlicher Freuden bewandert. Aber seit ich sie habe, macht sie nichts als Ärger.“ Er schnaubte und warf die Hände in die Luft. „Stiehlt Essen, versucht ständig zu fliehen, stachelt die andere Ware auf. Und jetzt beleidigt sie auch noch meine liebste und beste Kundin!“ Das Haupt tief geneigt, sah er aus dem Augenwinkel zu ihr herauf. „Also, soll ich? Für einen kleinen Obulus mache ich auch eine angemessene Show draus.“
Kara ließ den Blick über die Frau mit den streitlustigen Augen gleiten. „Hier.“ Drei Münzen aus ihrem Beutel wanderten in Kerfreks Hände. „Sehr wohl, Vogtin. Es wird mir ein außerordentliches Vergnügen sein, sie für euch …“
„Loszubinden, danke, mein Bester. Und mach zügig. Ich bin hier fertig für heute und kann es nicht erwarten, diesen feuchten, schmutzigen Ort hinter mir zu lassen.“
Der Händler stutzte. „Ihr … kauft sie? Aber, Herrin, Vogtin, geliebte Beschützerin unserer schönen Provinz.“
„Hör auf zu quatschen, Mann.“ Hugin baute sich vor ihm auf.
„Du hast die Herrin gehört.“ Munin nickte in Richtung der Frau.
Kerfrek schluckte. „Natürlich, natürlich. Aber ich gebe keine Garantie. Und ich nehme sie nicht zurück, wenn sie euch Ärger macht.“
„Keine Sorge.“ Kara trat ganz dicht vor ihre Neuerwerbung. „Ich weiß, wie man mit Aufrührern umgeht.“ Genüsslich ließ sie den Blick über die Ware gleiten. Zum ersten Mal seit Kara vor sie getreten war, zeigte die Frau eine Spur Unsicherheit in ihren Augen.
Zufrieden lächelte Kara. „Wir beide werden eine Menge Spaß zusammen haben.“
Die matte, rote Sonne schob sich gemächlich über den Horizont. Ein gutes Geschäft, fand Kara. Nichts ließ einen Tag so angenehm beginnen, wie ein gutes Geschäft.
„Du hast zu viel bezahlt“, sagte Munin.
Hugin führte die Frau an der Kette um ihren Hals und schwieg.
Kara trommelte mit den Fingerspitzen auf dem Säbel. „Abwarten.“
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