Bergauf und gegen den Strom – sei ein Lachs!

In der Oberschule lernte ich einen Jungen kennen, der für sich in Anspruch nahm, grundsätzlich dagegen zu sein. Er liebäugelte mit dem Gedanken, sich ein Schild zu basteln, auf dem „dagegen“ steht, um es bei allen Gelegenheiten im Klassenzimmer hochzuhalten. Außerdem trug er als bekennender Goth mit langem Haar ausschließlich schwarz und strebte als Mitglied der Linkspartei nach mehr politischer und sozialer Gerechtigkeit. Wie ihr euch unschwer vorstellen könnt, hatte ich mich unsterblich verliebt. Jeden Freitag trafen wir uns im The End, tranken Whiskey und philosophierten über Gott und die Welt, bis das Lied von den Doors, nach dem sich die Bar benannt hatte, uns zum Aufbruch zwang. Genau wie er war auch ich oft „dagegen“. Manchmal aus Prinzip, meist aus Überzeugung. Wie ein Lachs schwamm ich schon immer stur gegen den Strom und versuchte allen hungrigen Bären zum Trotz den Ort zu erreichen, an dem ich unter meinesgleichen eine Zukunft für meine Art erschaffen würde.

Damals erschienen mir die Stromschnellen schier unüberwindlich und voller Einsamkeit.

Mein langhaariger Whiskey-Kumpan erwiderte meine Liebe ebenso wenig wie ich die des Schweizer Jungunternehmers, der etwa zur selben Zeit die Vielfliegermeilen seiner Eltern eingesetzt hatte, um mit mir auszugehen. Der zynische Spruch, wir bekämen selten, was wir wollten, aber immer was wir verdienten, erschien mir nur allzu wahr. Selbst, als ich im Tabletop und Live-Rollenspiel einige Dutzend Gleichgesinnte kennenlernte, fühlte ich mich immer ausgeschlossen. Entweder war ich die „Neue“ oder das „Mädchen“ oder die „ausm Osten“ oder oder … immer war da diese Barriere zwischen mir und den anderen. Wo waren sie, die anderen Lachse, die den Bären trotzend dasselbe Ziel wie ich verfolgten? 

Es sollte fast zwanzig Jahre dauern, bis mir klar wurde, dass es sie schon immer gab, ich sie nur nicht als solche wahrgenommen hatte. Die misanthropische Grundhaltung zwanghaften Anderseins war es, die mir das Gefühl vermittelt hatte, ich würde nirgendwo dazugehören und wäre der einsamste Lachs der Welt. In Wahrheit sind wir alle einsam. In Wahrheit haben wir alle das Gefühl, dass uns niemand wirklich kennt oder versteht oder so ist wie wir. In Wahrheit kommen und gehen wir allein. Doch was wir dazwischen tun und glauben, hängt zum Großteil von uns selbst ab.

Gut, vielleicht sind nicht alle Menschen da draußen Lachse. Manche sind Forellen, andere Barsche und der eine oder andere ist ganz sicher ein Bär. Aber selbst diese können sich jederzeit entscheiden, den pummeligen Lachs in Frieden seiner Bestimmung zustreben zu lassen, und statt seiner einen Bienenstock auszuweiden.

Also gut, bevor die Lachs-Metapher sich einen Anwalt nimmt und eine Unterlassungsklage gegen mich anstrengt, möchte ich mit der Erkenntnis schließen, die sich für mich aus der Erfahrung ergeben hat:

Wenn du ein Lachs bist, sei ein Lachs!

Schwimme bergauf, gegen den Strom, allen Gefahren zum Trotz und glaube fest daran, dass dich am Ende des Stroms die Quelle des schöpferischen Selbst erwartet. Und wenn wir uns dort treffen, lade ich dich auf eine Honigmilch ein. (Oder einen steviagesüßten Mandeldrink. You do you, vegans.)

Bild: lynnea auf Pixabay

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