Randy Ingermanson, a.k.a. The Snowflake Guy, hat einen großartigen Blog und weil er außerdem ein feiner Mensch ist, darf man seine Beiträge verbreiten und in diesem Fall sogar übersetzen. Ich hatte mir schon öfter überlegt, einige der besten Beiträge von Randy auf meinem Blog auf Deutsch zu veröffentlichen, weil sie so unglaublich viel Substanz haben, aber da ich mich eigentlich an Lesende und nicht an Schreibende richte, habe ich das immer vor mir hergeschoben. Heute ist aber (immer noch) einer dieser Tage, an den Dinge erledigt werden, auch wenn ich nicht genau weiß, wie es dazu kam, daher folgt auch gleich der zweite Gastbeitrag von Randy: Das Problem mit Zingers (Oder: Warum du statt deinem nächsten klugen Spruch vielleicht einfach mal die Klappe halten solltest)
Fiktion lebt von Konflikten. Wir werfen unsere Figuren in einen glühendheißen Schmelzofen, drehen die Hitze hoch und schauen zu, was passiert.
Warum? Weil wir so lernen, mit unseren eigenen Konflikten umzugehen. Indem wir sie durch die Augen anderer erleben, sicher zwischen den Seiten eines Buchs versteckt.
Eines der besten Werkzeuge, um Szene schnell zuzuspitzen, ist Dialog. Klar. Aber nicht irgendein Geplänkel – sondern der gute alte Zinger.
Was ist ein Zinger?
Ein Zinger ist ein kurzer, scharfer Satz, der sitzt. Eine knackige Bemerkung, die den anderen bloßstellt oder entlarvt. Meist so pointiert, dass man beim Lesen entweder juchzt – oder zusammenzuckt.
In Geschichten ist das erlaubt. In Geschichten wissen wir, wer die Guten und wer die Bösen sind. Die Heldin kämpft für das Richtige, der Schurke für das Falsche – und wenn sie ihm mit einem bissigen Satz eins reinwürgt, jubeln wir. Gerechtigkeit! Drama! Applaus!
Aber …
Was ist das Problem?
In deinem Roman bist du Gott. Du kennst die Wahrheit. Du entscheidest, wer Recht hat. Du regelst, wie weit der Streit eskaliert. Du bestimmst, wann Ruhe einkehrt.
Im echten Leben bist du nicht Gott. (Sorry.) (Außer, du bist es, in diesem Fall: Wann wird endlich mein Pony geliefert?)
Im echten Leben gibt’s keine allwissende Instanz, die sagt, wer hier gerade die Wahrheit gepachtet hat. Es gibt Erfahrungen, Hintergründe, Verletzungen und Missverständnisse auf allen Seiten.
Und was passiert, wenn wir im echten Leben mit einem Zinger um uns werfen?
Der andere wird wütend. Schlägt zurück. Seinerseits wieder mit einem Zinger.
Und dann eskaliert’s.
Und eskaliert.
Und niemand sagt Stopp.
Weil hier niemand die Geschichte kontrolliert.
Zingers auf Social Media: Ein perfekte (Shit-)Sturm
Social Media liebt Zingers. Weil sie Engagement erzeugen.
Engagement bringt Reichweite. Reichweite bringt Werbung. Und Werbung bringt Geld. Für wen? Für die Typen, die die Plattform besitzen (Hi Mark, wie ist die Luft oben auf dem Zuckerberg?). Nicht für dich.
Das geht so:
Jemand postet einen Zinger – oft ein Meme, das eine komplexe Meinung brutal vereinfacht und lächerlich macht.
Dann kommt jemand, der sich angegriffen fühlt und antwortet mit einem Zinger.
Der Algorithmus freut sich.
Mehr Leute sehen den Post. Mehr Leute regen sich auf.
Mehr Zingers. Mehr Wut. Mehr Geld. (Für Mark, nicht für dich. ODer mich. Ja, das macht mich wütend.)
Das Ergebnis:
Ein digitaler Sumpf aus Groll, Häme und Bluthochdruck.
Und am Ende weiß keiner mehr, worum es eigentlich ging.
Und jetzt?
Die Versuchung ist groß zu sagen:
„Tja. So ist das Internet eben.“
Ähm nö.
Du kannst was tun. Ich kann was tun. Alle können was tun.
Hier sind ein paar einfache Regeln, die ich für mich aufgestellt habe. Vielleicht willst du sie übernehmen:
Regeln für eine zingerfreie Welt
- Poste keine Zingers. Wenn du eine Meinung auf drei Worte eindampfen kannst, damit sie sich leicht zerlegen lässt – dann hast du die Meinung möglicherweise nicht verstanden. (Aber falls doch, ist sie so mies, das sie deine Aufmerksamkeit nicht verdient.)
- Wenn dich ein Zinger auf Social Media wütend macht: Ignorieren. Oder verbergen. (Nach dem guten alten Motto: „blocked and reported“. Von führenden Angehörigen der Gen Z für mehr Seelenfrieden empfohlen. Absolut effektiv seit 1976). Das fühlt sich gut an (Dopamin!), und der Algorithmus lernt: Du willst weniger davon.
- Wenn jemand auf deinen Post mit einem Zinger antwortet:
- Überprüf dich: Hast du provoziert? Dann entschuldige dich.
- Wenn nicht: Lösch den Zinger. Schreib kurz dazu, dass du sowas nicht auf deinem Profil haben willst.
- Wenn du die Person kennst: Schreib eine DM. Wenn nicht: Ein Satz öffentlich reicht.
- Mach’s offiziell. Erklär dein Profil zur friedlichen Zone. (Kieran würde einfach ein Friedensfeld zaubern, aber leider sind wir nicht alles Aufgestiegene.) Formuliere eigene Hausregeln. Dann kannst du jederzeit darauf verweisen, wenn jemand meckert, weil du einen Zinger gelöscht hast.
Bringt das überhaupt was?
Ja. Und zwar sofort.
Wenn du keine Zingers mehr verbreitest, sinkt dein Stresslevel. Dein Puls beruhigt sich. Du schläfst besser. Du bist entspannter.
Und stell dir vor, das würden andere auch machen. Hunderte. Tausende. Millionen.
Stell dir vor, es gäbe weniger Gift, weniger Groll, weniger Geifern im Netz.
Klar – es dauert, bis sich solche Ideen verbreiten.
Aber: Wer früh damit anfängt, profitiert am meisten.
Wichtig: Das heißt nicht, dass man nie über schwierige Themen reden soll.
Im Gegenteil. Wir brauchen Debatten.
Aber ohne Spott. Ohne Häme. Ohne Zinger.
Denn wer wirklich was verändern will, braucht mehr als einen coolen Spruch.
Und weißt du, wer das gar nicht mögen wird?
Mark, Elon und die anderen Milliardäre, die von deiner Empörung ihre nächste Dosis Ketamin oder ihren nächsten Bungeesprung bezahlen.
Na ja. Die verkraften das schon.
Bist du dabei?
Oder gefällt dir die Welt so, wie sie ist?
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Bild von Pexels auf Pixabay (sorry für die Coca Cola Schleichwerbung, aber das Bild sah einfach so schön entstresst aus)